Octopus an La ratte Kartoffeln und Forellenkaviar
Polpo con patate La ratte e caviale di trota
Poulpe aux pommes de terre La ratte et caviar de truite
Food, Foto and Art Reiner Grundmann


P R O L O G
Nach Onno Groß
Er „starrt uns mit seinen haßerfüllten, menschenähnlichen Augen an, während seine pneumatische Haut von Grau zu Violett und Blau wechselt, seine Saugorgane auf- und zuklappen, aus seinem Maul Wasserstrahlen sprudeln“, schreibt Vilém Flusser.
Die Fabeln, in denen Tintenfische als abstoßende Untiere und Monster herhalten müssen, ziehen sich durch die gesamte Literaturgeschichte. Angefangen von Homers Abenteuerheld Odysseus, der zusehen mußte, wie sechs seiner tapfersten Freunde verzweifelt zappelnd von dem blutrünstigen, zwölffüßigen und sechsköpfigen Monster Scylla verspeist wurden.
Die Geschichte vom schiffeversenkenden Seekraken wurde auch Vorbild für Jules Vernes berühmten Roman „20000 Meilen unter dem Meer“.
„Und war sein Kopf nicht von acht Fangarmen gekrönt, die sich auf dem Wasser bewegen wie ein Schlangennest?“ fragt der Diener Conseil den Professor Aronnax an Bord der „Nautilus“. „Genau.“ „Und waren seine Augen nicht dicht über dem Kopf ziemlich groß?“ „Ja, Conseil.“ „Und glich sein Maul nicht einem Papageienschnabel, aber einem sehr großen?“ „In der Tat, Conseil.“ „Eh bien! Mein Herr möge zum Fenster hinausschauen: Wenn dies nicht der Kalmar von Kapitän Bouguer ist, so ist es mindestens einer seiner Brüder.“
Kapitän Nemo und die Mannschaft der „Nautilus“ hatten alle Mühe, sich vor dieser „Laune der Natur“, diesem „Weichtier mit einem Vogelschnabel“ und seinen Fangarmen mit Axthieben zu retten.
Jules Verne verarbeitet für seinen Roman die Kenntnisse des 19. Jahrhunderts und besonders jenes Ereignis, das sich an Bord des Segelschiffes

„Alceton“ zugetragen hatte. Das Schiff hatte 1861 einen Riesenkraken gejagt, mit Kanonen beschossen und immerhin ein Stück eines Tentakels gefangen. Der Kapitän Bouguer schrieb einen Bericht für die Akademie der Wissenschaften und brachte damit endgültig den wissenschaftlichen Beweis für die Existenz dieses Ungeheuers.
Während es sich in den bereits geschilderten Legenden zumeist um den wirklich existierenden Riesentintenfisch mit Namen Architeuthis handelte, gibt es ebenso zahlreiche mythische Geschichten, die von dem an den Küsten beheimateten Kraken oder Oktopus handeln. Die Größe der Kraken – die im Nordpazifik lebende Art Octopus dofleini erreicht immerhin Spannweiten von neun Metern und ein Gewicht von 250 Kilogramm – steht dabei nicht so sehr im Vordergrund, als eher die Gefahr für Leib und Seele durch das achtarmige, mit Saugnäpfen festhaltende und verschlingende Monster.
Dem Christentum war die Gabe zu List und Täuschung nicht geheuer. Der Krake, der seine Beute durch Tarnung täuscht, verkörpert schließlich den Teufel selbst oder die sündhafte Frau, weil er den unvorsichtigen Menschen das Verhängnis nicht erkennen läßt. Der Krake wird zum Symbol für den Versucher, Verräter, Lügner und Geizhals, welcher besonders gern Schätze hortet, die er seinen Opfern abgepreßt hat. Letztere Metapher hat sich bis in heutige Zeiten gehalten.
Das Fleisch des Kraken galt seit den Griechen als aphrodisisch. Und ein Lebewesen, das mit so vielen Armen umschlingen und mit so vielen Mündern saugen kann, mußte zwangsläufig zum Symbol der Liebe werden.

Im entfernten Japan diente die imaginierte Lüsternheit des Kraken als Motiv für einen berühmten Holzschnitt von Hokusai. Zwischen den Schenkeln einer hingestreckten Frau hängt der Krake gierig am Geschlecht dieser zweifellos verzückten und ekstatischen Beute. Ohnmächtig vor Lust geben sich die Partner der Berührung an so vielen Stellen gleichzeitig hin.
Und hat er denn tatsächlich Odysseus Mannen und Seeleute verspeist – so revanchieren wir uns heute.
Z U T A T E N

- 1 Pulpo TK von ca. 20 cm Gesamtdurchmesser, getrennt in Arme und Tube – verwendet wurden nur die Tentakeln
- Lorbeerblätter, frisch
- Salbeiblätter, frisch
- 1 – 2 Zweiglein vom Thymian
- 1 Zweiglein vom Rosmarin
- 2 Knoblauchzehen
- 3 La ratte Kartoffeln
- Olivenöl
- Butter
- 1 Zitrone
- Salz
- Bunter Pfeffer aus dem Mörser
Essbare Garnitur / Salat / Taralli
- Forellenkaviar
- kleine Tomaten, halbiert, mit Olivenöl, Balsamico, Salz und Zucker angemacht
- Kleine Karöttchen, eingelegt
- Taralli, kleines italienisches Gebäck aus Olivenöl, Weizen und Weißwein
Garnierung
Kleine weiße und gelbe Wiesenblumen
Z U B E R E I T U N G
Pulpo gründlichst waschen, auch die Saugnäpfe und die Innenseite des Tubus, falls verwendet, Beißwerkzeug (Papageienschnabel) entfernen. Tantakel von der Tube trennen.

Wasser heiß machen und 2 halbe Zitronen in das Wasser geben, ebenso ein Lorbeerblatt. Die Tentakeln in das heiße Wasser einlegen und 40 Minuten bei kleinem Feuer köcheln lassen.
La ratte Kartoffel in heißem Salzwasser 30 Minuten garen.
Gelegentlich vor allem gegen Ende der Garzeit an einer dicken Stelle in den Pulpo stechen und prüfen, ob der Arm weich und durch ist. In einer Pfanne Oliven-Öl heiß machen und den jetzt stark erröteten Pulpo in das Öl legen und nach Wunsch scharf anbraten. Ich habe die Rosmarinzweiglein dazugegeben.
Auf einer Schieferplatte, aber auch auf jedem anderen großen Teller, gebratene Tentakeln und den Salat / die Garnitur anrichten.
Kartoffeln auf einen Teller geben und Pulpo nebst Beilagen dazustellen – der Gast nimmt sich selbst.
Ich habe noch eine kleine Sauce aus Butter, Öl, Knoblauch, buntem Pfeffer aus der Mühle, Portwein und einer Prise Salz dazu montiert.
Mittelmeer und Sterneküche haben ein Stelldichein.
Bon Appetit

